MATERIAL, WANDLUNG UND EROTIK
Lebendige Materie, die sich ständig wandelt und neue Formen annimmt. Tentakel, Zungen, Spitzen und Öffnungen, die das textile oder keramische Material beleben. Die Objekte und Installationen von Katharina Gahlert handeln von Metamorphosen, intimen Begegnungen und unweigerlichen Verbindungen zwischen Mensch und Umwelt. Die Landschaft wird von Gahlert als subjektive Projektionsfläche wahrgenommen. Sie spürt die menschliche Sehnsucht nach einer spirituellen und mystischen Erfahrung, die seit Jahrzehnten in der Flora und Fauna, die uns umgibt, gesucht wird. Um die Parallele zwischen Körpern und Landschaften geht es zum Beispiel in ihren Installationen HEL und BODY OF LAND. Während in HEL die Beobachtung der Spuren des brachliegenden Bergbaubetriebs in der Region Erzgebirge im Zentrum steht, wird in BODY OF LAND dezidiert die Verbindung zwischen Bergbau, Körper und Feminismus erforscht. Sichtbar wird hier die Empathie gegenüber einer verletzten, ausgenutzten und zurückgelassenen Landschaft. Körper werden in Gahlerts Arbeit aus einer posthumanistischen Perspektive wahrgenommen: die Grenze zwischen menschlich und nicht-menschlich ist bewusst uneindeutig – die Hierarchien und Kategorien im Anthropozän werden von der Künstlerin hinterfragt und abgelehnt. In verschiedenen Arbeiten wird die Nähe der Künstlerin zu den theoretischen Strömungen des von u.a. Donna Haraway, Rosi Braidotti und Karen Barad geprägten Neuen Materialismus (Englisch: New Materialism) und Transhumanismus sichtbar. Zentral ist dabei der erforschte Bezug zwischen Mensch, Technologie und Umwelt, sowie die eindeutige ökofeministische Positionierung und die damit verbundene Kritik des hegemonialen und zerstörerischen Anthropozentrismus. Auch die Betrachtung der Materie als etwas Aktives und Lebendiges in ständiger Metamorphose gilt als Grundprinzip der Strömung und dient als eine Art roter Faden in Gahlerts Arbeit. Recherche und das Experimentieren mit verschiedenen Materialien leiten den Arbeitsprozess der Künstlerin. Wichtig ist ihr dabei die Freiheit, sich im ausgesuchten Medium losgelöst von standardisierten Abläufen bewegen zu können. Intuitiv und forschend nähert sie sich den ausgewählten Themen, um dann assoziativ Bilder und Formen zu untersuchen. Der dreidimensionale Raum, die Atmosphäre sowie die sinnliche, multisensorische Erfahrung spielen dabei eine wichtige Rolle. Während in der Installation IINHALE EXHALE Geruch, Rituale und die damit verbundenen Assoziationen reflektiert werden, stehen in Arbeiten wie OBJECTS OF EMPATHY oder CROWN die visuellen und haptischen Erfahrungen im Vordergrund. Das Material Keramik im Dialog und Austausch mit Textil wird in der Serie SPEKULATIVE ARTEFAKTE erstmalig erforscht. Keramik steht für die Künstlerin im engen Zusammenhang mit Archäologie und für die Suche nach menschlichen Spuren und Fragmenten der Vergangenheit in der Landschaft. Die Installation besteht aus spekulativen archäologischen Objekten, die von einer futuristischen Vergangenheit und materiellen Transformationen erzählen. Die Installationen von Katharina Gahlert pulsieren mit einer bewussten erotischen Kraft. Erotisch wird hier im Sinnen von Audre Lorde gemeint: “The Erotic is a resource within each of us that lies in a deeply female and spiritual plane, firmly rooted in the power of our unexpressed or unrecognized feeling.” 1 Ihre Arbeiten erzählen von fernen, möglichen und unmöglichen Zukünften, alternativen Realitäten sowie Begegnungen zwischen Human and More- than-Human. Sie eröffnet mit ihren Installationen Türen und Kontaktfelder für Begegnungen zwischen Materialien, Spezies und Welten und schafft damit Kraft und Empathie, die über das Menschliche hinausgeht.
1
Freie Übersetzung der
Autorin: „Das Erotische ist eine Ressource in jedem von uns, die auf einer zutiefst weiblichen und spirituellen Ebene liegt
und fest in der Kraft unserer unausgesprochenen oder unerkannten Gefühle verwurzelt ist.”. Zitiert von: Audre Lorde, Uses of the Erotic in brown, adrienne maree, Pleasure Activism. The Politics of Feeling Good, AK Press, 2019, S. 27. Ursprünglischer Titel: Uses of the Erotic: The Erotic as Power from Sister Outsider, Crossing Press, 1984
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Silvia Gaetti (*1987 in Italien) arbeitet als Kuratorin im GRASSI Museum für Angwandte Kunst in Leipzig. Von 2013 bis 2016 war sie kuratorisch am Ethnologischen Museum in Berlin und davor in verschiedenen Galerien für zeitgenössische Kunst sowie bei der Venedig- und Berlin-Biennale im Bereich Vermittlung tätig. Ihr Studium der Kunstgeschichte im globalen Kontext sowie der Sinologie hat sie in Venedig und Leiden mit Aufenthalten in Berlin und Beijing absolviert. Die inhaltlichen Schwerpunkte ihrer kuratorischen Arbeit liegen in den Bereichen der Transkulturalität und Transdisziplinarität in Kunst und Design. Dabei gilt ihr besonderes Interesse Gender- und Umweltthemen.