Auszug aus meiner Rede zur Diplompräsentation, 1. Juli 2021:
Zu Beginn des Diplomprozesses stand mein Interesse für Bergbau und für Feminismus, sowie die Neugier, wie sich beides miteinander verbinden lassen könnte.
Die Landschaft meiner Heimat, dem Erzgebirge, ist geprägt von Spuren eines jahrhunderte währenden Grabens in die Tiefe der Erde. Das Gebirge ist durchzogen von Schächten und Stollen, deren Eingänge in Bergmannssprache Mundlöcher genannt werden und so bereits einen Hinweis geben auf die Anschauung einer leiblichen Erde. Diese Pforten ins Innere der Landschaft, die auch Tore in die Sphären der Dunkelheit und Mystik, des Unterbewusstseins und der Imagination sind, erinnerten mich von außen betrachtet vor allem an Wunden. Ich empfinde Empathie gegenüber dieser Landschaft, was mich zu der Frage führt, in welcher Beziehung ich als Mensch zu ihr als meinem Lebensraum stehe. Eine breite Recherche brachte mich in Kontakt mit diversen Konzepten der Naturanschauung. All diese Ideen und Konzepte verdeutlichten, dass wir uns in einer zutiefst ambivalenten Situation befinden. Auf der einen Seite steht die Sehnsucht nach harmonischer Verbundenheit mit Mutter Erde, auf der anderen Seite der Drang nach Beherrschung, Kategorisierung und Unterwerfung einer Natur, die je nach Bedarf als feindliche Bedrohung oder völlig entmystifiziert als profane Ressourcenquelle vorkommt.
Im ökofeministischen Ansatz des new materialism, der vor allem von Donna Haraway und Karen Barad geprägt wurde, fand ich eine weitere Perspektive, die seit den 00er Jahren neue Theorien über Materie und die materielle Welt präsentiert. Er betont den Aspekt eines dynamischen Netzwerks, der ständigen Transformation und Interaktion zwischen Mensch und Materie. Dabei liegt der Fokus auf einem „Wir“-Gedanken und distanziert sich von der traditionellen hierarchischen Einteilung der Natur in Kategorien und abgeschlossene Identitäten. Materie wird somit als aktive Handlungspartner*in angesehen, die agiert und reagiert. Ich beschloss, diese Vorstellung als Basis für die Entwicklung meiner praktischen Arbeit zu verwenden. Der Titel meiner praktischen Diplomarbeit BODY OF LAND erzählt von einer Analogie zwischen Leib und Landschaft und fragt nach der Beziehung zwischen Mensch und Materie.
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Die Arbeit Body of land im ersten Raum thematisiert die Verwundbarkeit der Erde und damit unsere eigene. Textile Objekte, die mit Innerlichkeit, Empfindung und Leiblichkeit korrelieren befinden sich ineinander verschlungen, zwischen passiv und aktiv, belebt und unbelebt in einer Art Schwebezustand. Gefärbt mit Rost und Catechu, einem natürlichen Farbstoff aus dem Rindenpulver der Gerber-Akazie, öffnen sich Bezüge sowohl zum Mineralischen als auch zu organischen Verbindungen, die wir zum Teil auch in unserem Inneren, im Körper tragen. Unser Blut enthält Eisen als Spurenelement, und bildet den Farbstoff, der in getrocknetem Zustand etwa dem von Rost entspricht. Entfernt man die Haut eines menschlichen Körpers, das Fell eines Tieres, die Grasnarbe einer Landschaft, offenbaren sich visuell überraschend ähnliche Strukturen. Über Atmung und Nahrung nehmen wir permanent Materie aus unserer Umgebung auf, scheiden sie wieder aus und nehmen sie wieder auf. Unser Körper und damit der ganze Leib, der nach meinem Verständnis auch die Empfindung, die Erinnerung und das Bewusstsein mit einschließt, verändert seine Stofflichkeit permanent und transformiert Äußeres zu Innerem und wieder zurück und immer so weiter.
Unter der Oberfläche liegen Schichten, Gebiete, Landschaften. In uns und im Raum, der uns umgibt. Es gibt ein Darunter, das uns verbindet.
Die textilen Objekte nehmen zudem das Prinzip einer Decke auf, jedoch sind sie unregelmäßig in ihrer Außenkontur und durchbrochen von Löchern. Es geht mir bei diesen ‚Decken‘ nicht um die wärmende Funktion, sondern um die Eigenschaft des Verbunden-Seins. Das textile Material fungiert als Sinnbild einer künstlichen Haut und ist Projektionsfläche für Empfindungen.
Um zu Beginn die äußere Form zu definieren, nahm ich meinen eigenen Körper als Referenz, legte mich in verschiedenen Positionen auf die Stoffe, zeichnete liegend meine Körperumrisse nach und schnitt diese aus. Die Anordnung der Fehlstellen erfolgte intuitiv. Zwei zusammengenähte Stofflagen bildeten zunächst eine Hülle, die ich schrittweise mit Füllmaterial stopfte und mit Nähten steppte. Nach und nach entstand ein organisches Linienmuster, in dem Anklänge an Ackerfurchen oder die Höhenlinien auf einer Landkarte zu finden sind. Gleichzeitig entstand eine körperhafte Dreidimensionalität. Die Vertikale Achse, die durch die Linienführung und Spiegelung am Boden entsteht, leitet den Blick in die Tiefe und verweist somit auf den Raum, der über den momentan erfahrbaren Raum hinausgeht.
Während diese Arbeit mit der inneren Natur und einem Gedanken der Verbundenheit spielt, verhandelt eine weitere Arbeit unsere kulturelle Tradition, auf der Suche nach Verständnis und Erkenntnis die Dinge zu kategorisieren und isoliert zu betrachten. Die Objektgruppe FADE INSTINCT/ talking to stones, listening to shells beinhaltet 5 Kästen mit sortierten Schiefersteinen und 6 in Kunststoff gegossene Schneckenhausimitate der Spezies Cassis Cornuta, die linear ausgerichtet auf einem Bett aus Rohbraunkohle lagern. Rohbraunkohle ist ein Sedimentgestein, in dem sich unter dem Druck darüberliegender Schichten über einen extrem langen Zeitraum ehemals organische Materie durch den geochemischen Prozess der Inkohlung in neue Materie transformiert hat. Die Kohle enthält ein unglaubliches Volumen an komprimierter Zeit, Materie und Geschichte, die sich für mich vor allem in ihrer Farbigkeit – einem samtigen Tiefbraun – spiegelt. Diese hier stammt aus dem Tagebau Profen im Burgenlandkreis, entstand schätzungsweise vor 20 – 45 Millionen Jahren und lagerte unter einer 10 Meter dicken Schicht von Quarzgestein.
Auch die Form der Schneckenspirale steht für mich als ein Sinnbild für geologische Zeiträume, die nicht nur Menschenleben, sondern die Spezies homo sapiens im Ganzen weit überdauern. In der Sedimentschicht des Anthropozän werden sich vor allem unverwüstliche Kunststoffe und Zivilisationsabfälle wiederfinden und ein Bild zeichnen einer Epoche, die alles vorher gewesene in kürzester Zeit verändert, umgewandelt und mitunter auch zerstört hat. Die Schneckenform, die auch ein Symbol für Verletzlichkeit und Empfindlichkeit ist, wird in dieser Arbeit zur Bedrohung für ein ganzes Biotop. In ihrer unnatürlich flachen Farbigkeit und der Gleichform vermittelt sie hier eher das Invasive; die Störung und verkörpert somit die menschliche In-Besitznahme einer längst nicht mehr unberührten Natur. Es geht vielmehr darum, den Zustand der akuten Vermengung von Kultur und Natur, Zartheit und Brutalität anzuerkennen und aus diesem Bewusstsein heraus die eigenen Position im natürlichen Gefüge immer wieder aufs Neue zu hinterfragen.
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Zwischen den Dichotomien der Mensch-Naturbeziehung, also zwischen der inneren und äußeren Betrachtungsweise liegt ein Feld der Möglichkeiten. Dynamisch, nicht statisch, ungreifbar.
In der Arbeit INHALE EXHALE verglüht ein Gemisch aus Buchenholzkohle, Kaliumnitrat und Catechú – dem Farbstoff, mit dem ich große Teile der Textilien behandelt habe – und macht den Prozess einer Stoffumwandlung sichtbar und riechbar. Die schwarze Masse transformiert sich zu Hitze, Asche und Geruch. Geruch korreliert mit Erinnerung, Gefühl, intimen Gedanken und aktiviert unsere inneren Bilder. Sehr präsent, und doch flüchtig, verschwindend, wie ein Phantom. Das Verglühen der soliden Materie zu flüchtigen Partikeln und Geruchsmolekülen gibt einen Hinweis auf die Zeitlichkeit alles Materiellen und die Prozesse der Vergänglichkeit. Eine Verwandlung von Materie, die sich vor unseren Augen abspielt, von unseren Körpern eingeatmet wird und in unserem Inneren wirkt, wieder ausgeatmet wird und sich im Außen fortsetzt. Wie groß die Reichweite unserer Atemluft tatsächlich ist, hat uns eine Pandemie erst vor kurzem auf beeindruckende Weise vor Augen geführt. Gleichzeitig ist auch die Existenz eines Menschlichen Lebens im Kontext geologischer Zeiträume flüchtig wie eines dieser Geruchsmoleküle.
In meinen Arbeiten zeigen sich Versuche, die Pole eines Dualismus, in dem ich zuweilen selbst gefangen bin, miteinander in Verbindung zu bringen, um damit einem vielschichtigen, polydimensionalen Verständnis von Raum und Zeit , Innen und Außen, Natur und Kultur näher zu kommen. Es geht weniger darum, ein Gegenüber zu definieren, als um ein umeinander, ineinander, miteinander als ewigen Prozess anzunehmen und Kontaktpunkte zu schaffen. Während wir auf unseren Umraum wirken, wirkt dieser im gleichen Maße auf uns zurück. Die eigene Existenz wird so zum Teil eines expansiven, materiellen Netzwerks, das sich innerhalb und außerhalb unserer Leibes erstreckt.